Prof. Dr. Siegmar Stöppler
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Obermühle in Eichelhain

Eichelhain und die Obermühle


I. Die Obermühle von Eichelhain

A. Lage und heutiger Zustand

Ortsende von Eichelhain, komplett restauriert

B. Ein typisches Vogelsberger Einhaus

Die Obermühle ist ganz in der Tradition Vogelsberger Bauernhäuser als ein einziges Haus für Mensch, Vieh und Vorräte unter einem langen Dach gebaut worden. Diese Hausform, Einhaus genannt, findet man immer weniger, da für zeitgemäßes Wohnen und Wirtschaften immer mehr Um- und Anbauten vorgenommen werden, insbesondere rechtwinklige Anbauten, die kürzere Transportwege auf dem Hof ermöglichen, verändern das frühere Bild erheblich. In Eichenrod kann man jetzt noch einige stattliche, wenn auch renovierungsbedürftige Einhäuser sehen.

Die Einhäuser waren aus ehemals getrennten Häusern, nämlich Wohnstallhaus und Scheune, teilweise organisch zusammengewachsen, danach auch in einem Stück als Neubau aufgestellt worden.

Das Einhaus gliedert sich in den Wohnteil an einem Giebelende, die Ställe in der Mitte mit anschließender Scheune und den Vorratsräumen für Heu und Stroh auf der anderen Seite. Kommt man zur Haustür hinein in den bei uns engen Flur ("Earn"), so steht man sogleich vor der Treppe in den Oberstock. Geradeaus weiter geht es in die Küche, die immer an dieser Stelle liegt. Links von der Haustür liegt für gewöhnlich die gute Stube, bei uns die Mühlstube, die zuvor jedoch die Müllerei enthielt, und bis 1980 nicht als Wohnraum diente. Die frühere Stube war bei uns zur rechten der Haustür, wo sonst in den Einhäusern schon der Viehstall beginnt.

Die Mahleinrichtungen nahmen den Keller unter der Mühlstube und diese selbst ein. Der Boden war vielfach durchbrochen, um Übergänge für Transmissionen und Schächte zu schaffen. Auch der Abgang zum Keller war hier und nicht im Earn. Die Verlegung dieser Kellertreppe in den Earn haben Johannes und Karl Geist vorgenommen, als der Boden im Flur zusammenbrach und vollständig erneuert werden mußte.

Die gute Stube rechts (sofern in anderen Häusern als zweite Stube vorhanden, wurde sie "Nebenstube" genannt) war nur durch die vordere Tür erreichbar, hatte also keinen Ausgang nach hinten. Die hintere Wand war geschlossen, enthielt jedoch das noch erhaltene und in die erneuerte Wand wieder eingesetzte Fensterchen, das etwas zusätzliches Licht hereinließ und einen Blick durch das dahinterliegende Fenster auf die Wiese möglich machte.

Die Küche hatte wohl in alter Zeit einen offenen Rauchfang an der Stelle, wo jetzt der Schornstein steht, wie am Deckengebälk noch zu erkennen ist. Die alten Rauchfänge waren aus Holz und Lehm gefertigt, wie halt das ganze Haus. Da sie nur einen Durchlaß durch das Obergeschoß (sofern vorhanden) bildeten und der Rauch ohne Einschränkung den Speicher durchzog, um sich durch Ritzen im Strohdach einen Weg nach draußen zu suchen, kam es oft zu Bränden. So erliessen die Freiherren Riedesel eine Verordnung (Ende 18. Jh.), daß alle Schornsteine aus Backsteinen zu bauen seien und das Dach zu überragen hätten. Das war sicherer und hatte für die Riedesel den angenehmen Nebeneffekt, daß der Absatz ihrer Ziegelei bei Angersbach nachhaltig gefördert wurde. Die Schwärze der Deckenbalken in der Küche ist jedenfalls original. Der Schornstein wurde danach aus Backsteinen gemauert, reichte jedoch nur bis an die Decke der Küche, der Art des alten Rauchfanges entsprechend. Erst später wurde er auf den Boden heruntergezogen. Das Dachgebälk der Obermühle ist nicht verräuchert, also ist es (wahrscheinlich wesentlich) später entstanden.

Von der Küche gelangte man durch den Gang hinter der Stube direkt in eine Futterkammer (in 1976 als Duschbad und Toilette ausgebaut), in der die Rüben geschnitzelt und mit Häcksel gemischt wurden, und danach in den Stall. Aus dem kleinen Gang konnte man durch eine einfache Brettertür auf die Wiese unter den Zwetschenbäumen gehen. Die Veranda wurde um 1980 mit Edmund Nickel und seinen Freunden gebaut. Die Sandsteinplatten im Boden kamen aus dem Kuhstall des Maarer Elternhauses.

Die kurze Verbindung von der Küche nach draußen hatte für die jeweilige Obermüllerin den Vorzug, schnell Wasser für die Küche aus dem Mühlbach an der Stelle der "Scheppkaut" holen zu können. Ein Brunnen war ja überflüssig. Das wenige Abwasser floß über den "Gossenstein" in der Küche wieder dem Mühlbach zu. Die Küche hat ein kleines Fenster, und zwar das rechte der beiden heutigen Fenster.

Der Oberstock war nicht viel anders als heute. Über der Stube befand sich ein großes Schlafzimmer, über der Küche die "Küchenstube", die wohl klein, aber ihrer Lage wegen durch den Schornstein im Winter leicht mitgeheizt und somit bei alten Leuten beliebt war. Ihre Trennwand zum Treppenhaus lag früher um ca. 1.20 zurück unter dem unter der Decke verlaufenden dünnen Balken. Sie war also noch kleiner als jetzt, Der Schornstein ging durch den oberen Flur, der im übrigen mehr Stellfläche bot.

Über der Mühlstube lag die "Oberstube", die nur dreiviertel ihres Raumes einnahm, weil dahinter, durch eine Lehmwand mit Brettertür getrennt, die Vorratskammer lag. Diese sog. "Wurstkammer" war so gegen hungrigres Gesinde und Kinder durch das Schlafzimmer des Obermüllers und seiner Frau gut geschützt. Die Zwischenwand wurde 1983 entfernt, die hinteren Deckenbalken und die "Doh" wurden ausgetauscht und ein zusätzliches Fenster mit Sicht auf dir Wiese eingesetzt. Die Bodenbretter habe ich in Bremen anfertigen lassen, da selbst diese bescheidene Dielenbreite sonst nicht mehr zu haben ist. Die Dielen im oberen Treppenhaus waren zuletzt 1911 durch den Eichelhainer Schreiner Heinrich Ruppel 6. erneuert worden durch Buchendielen, wie auf der Unterseite einer Diele zu lesen war.

Der Aufgang zum Speicher war in einem Gehäuse mit einer Brettertür davor. Aus dem unteren Schwellenbalken, schön durch Holzwürmer ausgehöhlt, wurde der dicke, runde Kerzenständer gedrechselt.

Die Gebäudeteile vom Stall zur Scheune brauchen hier nicht näher beschrieben werden, da sie noch so zu sehen sind, wie sie seit langer Zeit genutzt wurden. Lediglich die Stallwände dürften ganz am Anfang auch in Fachwerk aufgeführt gewesen sein. Wegen der vom Boden aufsteigenden Feuchtigkeit aus dem Stall, dem Kondenswasser und dem aggressiven Ammoniak waren sie bald verfault und wurden wiederholt durch Mauerwerk erneuert. Dieses hatte auch keine lange Lebensdauer, vor dem jetzigen Kaksandstein gab es eine Backsteinwand.

Viele alte Vogelsberger Häuser sehen am Übergang vom Wohnteil zum Stall wie angebaut aus, jedoch handelt es sich in jedem Fall nur um eine Erneuerung des Balkenwerks im Stallbereich. Dem Stil bzw. der Zimmermannskunst der jeweiligen Zeit nach wechselt deshalb an dieser Stelle manchmal die Bauweise. Ursprünglich waren die Schwellenbalken durchgehend; wenn sie zu Ende waren, wo auch immer, wurden sie vom nächsten angesetzt.

Durch die wenig intensive Nutzung als landwirtschaftlicher Hof in diesem Jahrhundert (und durch den permanenten Mangel an Geld) hat die Obermühle keinen Anlaß zur Erweiterung und Umarbeitung gegeben und hat so fast rein ihre Gesamtansicht als Einhaus bewahrt. Wie eh und je steht sie in der sie ganz umgebenden Wiese und trotzt Wind und Wetter, die in dieser Lage "aus erster Hand" kommen.

C. Alter und Bauabschnitte der Obermühle

Sehen wir uns das Gebäude, sein Balkenwerk und seine Machart genauer an. Im Vergleich zu Häusern aus dem 18. Jh. oder davor fällt auf, daß der "wilde Mann" als Eckverstrebung und statisches Element völlig fehlt. Weiter sind Unterstock und Oberstock aus unterschiedlichem Holz: Das Fachwerk unten ist aus massiver starker Eiche gefertigt, der ganze Oberstock besteht aus dünnerem, aber immer noch den statischen Anforderungen genügendem Tannen- bzw. Fichtenholz.

Zur Unterschiedlichkeit von Unter- und Oberstock gibt es eine Erzählung, deren Aussagen leider nicht präzisiert werden können. Als die Obermühle von Bohlers (Familie Geist) übernommen worden und Berta Ruppel in Bohlers Haus gezogen war, war Karl Geist um Weihnachten bei Bertha zu Besuch. Da es sehr mild war, fiel Bertha ein zu erzählen, daß es ebenfalls zu Weihnachten gewesen sei, daß ihre (Ur)Großmutter hinter der Obermühle im Freien gesessen hätte, um in der Bibel zu lesen. Da sei ein Gewitter aufgezogen und ein Blitz sei ins Haus eingeschlagen. Der obere Stock wäre abgebrannt.

Vielleicht hat man dann mit einfacherem Holz wieder aufgebaut, jedoch zeigt das Balkenwerk im Unterstock keine Brandspuren außer im Deckengebälk der Mühlstube. Solche Balken können auch von anderer Seite gekommen sein, da man noch intaktes Gebälk immer wieder verwendete, bis die vielen benötigten und überflüssigen Zapflöcher und andere Abnutzungen dies nicht mehr zuließ. Die Obermühle ist wohl recht gleichmäßig von oben abgebrannt, da der Übergang von Eiche in Fichte im ganzen Haus, also im Wohnbereich wie im Pferdestall zu sehen ist. Vielleicht war es tatsächlich wegen des reichlich vorhandenen Wassers möglich, das Haus zu retten. Das Gebälk des Oberstocks ist im Stil dem Untergeschoß angepaßt. Alle Balken sind mit römischen Zahlen durchnummeriert, was auf einen Zimmermannsbetrieb als Auftragnehmer schließen läßt.

Das von außen sichtbare Fachwerk ist keine 200 Jahre alt, doch gibt es im Inneren ältere Teile. Die Trennwand zwischen Flur und Küche zur Mühlstube zusammen mit dem Balken über der Wand zwischen Flur und Küche, der sich in der Doh der Mühlstube fortsetzt. ist wesentlich älter. Die Balken sind bedeutend stärker bzw. auch unförmiger, unregelmäßig und krumm, sie sind alle nicht gesägt sondern mit der Axt geglättet und gekerbt. Auch sind sie nicht richtig mit der Außenwand verzapft, wie man in der Mühlstube sieht. Da hat man also ein neueres Haus um einen alten Kern herumgebaut, das sieht eher noch mehr nach den Folgen eines Brandes aus. Das vorige Haus muß dann aber auch schon eine stattliches Aussehen gehabt haben, denn die Tiefe des Hauses ist gleich geblieben, ebenso die großzügige Stockwerkshöhe.

Im Dorf gilt die Obermühle als ältestes Haus. Vom Fachwerk her scheint das jetzige Gebäude sie das nicht zu sein, aber höchstwahrscheinlich vom Standort her bzw. der 'Obermühle' als Haus an diesem Platz. Dafür spricht die günstige Lage am ehemaligen Bachlauf mit der einfachen Nutzung des Wassers durch ein Wasserrad am Rande der kleinen Schlucht. Daß in der Zeit vor der Existenz von Straßennamen (erst Anfang der siebziger Jahre wurden offizielle Straßennamen vergeben) die Obermühle das Haus Nr. 1 war und auch jetzt noch die Schimmelreitergruppe an Sylvester hier ihren Umzug beginnt, kann nicht als schlüssiger Beweis angeführt werden.

II. Die Bewohner der Obermühle

A. In alter Zeit

1. Kurze Geschichte Eichelhains

Abseits der großen Verkehrswege liegt Eichelhain im Tal der Schlitz, später Eisenbach, das vom Oberwald nordwärts zieht. Eingeschmiegt zwischen den Höhenzügen liegt es oberhalb 500 m NN, den Winden und Steigungsregen des Vogelsberges ausgesetzt. Durch seine Nordlage scheint es das Zentrum von Hessisch-Sibirien zu sein, weist im Winter durchschnittlich zwei Monate Schnee auf mit gewöhnlich starken Verwehungen. An Obst gedeihen nur die Zwetschen und selbstverständlich Wildkirschen, aber keine Äpfel oder anderes Kernobst. Überraschenderweise gibt es in Eichelhain zwei Walnußbäume. Als Folge des rauhen Klimas gibt es sehr viele seltene Pflanzen und Blumen (Arnika, Türkenbund, ...), darunter einige alpine Arten.

Wegen der klimatischen Lage ist eine späte Besiedlung als mittelalterliche Siedlung anzunehmen. Wesentlich früher war der Lauterbacher Graben (von Maar über Lauterbach nach Fulda) besiedelt, erst der knapper werdende Boden ließ die Menschen in die kargeren und rauheren Höhen ziehen.

Eine genaue Datierung der Entstehung von Eichelhain zwischen 800 und 1200 ist schwierig.

Fragliche Aussagen: Erst 15(?)86 wird der Name "Uchelhain" in einem Herbsteiner Rentenverzeichnis der Herren von Rabenau verwandt. In den Archiven der Freiherren Riedesel wird in einer Urkunde vom 1. Mai 1483 ein Henne Uchelheyner als Zeuge und Schöffe genannt.

Da es glaubwürdig ist, daß Eichelhain seinen Namen vom Vornamen "Eigil" ableitet, gibt es mehrere Bezüge. Einmal gab es einen 1289 erwähnten Ort Eigilshain, der bei Herchenhain im Gericht Crainfeld gelegen haben soll und hundert Jahre später wüst war. Denkbar ist auch ein Bezug zum fünften Fuldaer Abt Eigil oder Aigil (819 bis 832), der den Ort gegründet haben könnte. Dafür spricht die Nähe zu fuldischem Land, dagegen seine Zugehörigkeit zum Kloster Hersfeld.

Später kam Eichelhain unter die Herrschaft der Grafen von Ziegenhain, bevor das Dorf von den Eisenbachern und in Erbfolge von den Riedeseln zusammen mit dem ganzen Gericht Engelrod als Lehen verwaltet wurde.

Zum sog. Junkerland gehörte Eichelhain bis zum Jahre 1806, wo es durch den Reichsdeputationshauptschluß zu Hessen-Darmstadt kam. Dieses Ereignis hatte tiefgreifende Folgen für die Obermühle, wie wir später sehen werden.

2. Müller und Bauer unter den 'Herren'

3. Das Leben am Rande des Oberwaldes

Nichts Genaues weiß man nicht.

B. Die Obermühle im 19. Jahrhundert

1. Die Müllersfamilie Jöckel

Durch den später zu schildernden Prozeß um den Wasserzins sind Abschriften der Gerichtsakten vorhanden, die zugleich Auskunft über die Müller zu Beginn des 19. Jh. geben. Die weiteren Familienverhältnisse konntem mit den Eintragungen im Standesamt (und den Kirchenbüchern aus Engelrod) geklärt werden.

In den Jahren der napoleonischen Besetzung war der Vater Adam Jöckels Müller in der Obermühle. Adam Jöckel, verh. mit Katharina, geb. Peppler, übernahm die Mühle 1819. Wir wissen von zwei Söhnen: Georg Jöckel, der die Mühle nach dem Konkurs des Vaters im Jahre 1833 übernahm und später den Prozeß führte, und Johannes Jöckel.

Georgs Lebensdaten kennen wir (noch) nicht, er heiratete Juliane Roth aus Eichelhain (Eltern: Georg Roth 1. und Helena, geb. Roth, Weber und Landwirt aus Eichelhain). Juliane Roth wurde 1805/06 geboren und starb in der Obermühle am 27.8.1877 mit 71 Jahren. Ihr Tod wurde vom Schwiegersohn Johannes Ruppel 2. angezeigt.

Der weit jüngere Bruder Johannes Jöckel muß um 1829/30 geboren sein und starb am 26.4.1897 mit 67 Jahren in Eichelhain. Er war Mühlbauer von Beruf und heiratete die Tagelöhnerin Maria Mosbach, geb. um 1819/20, gest. 10.10.1907 mit 87 Jahren. Sie war die Tochter des Heinrich Mosbach und Frau Anna, geb. Greb, Landwirt in Eichelhain. Johannes und Maria hatten drei Kinder: Peter Jöckel, geb. 11.7.1850, verh. am 27.4.1879 mit der Tagelöhnerin Margaretha Rahn, Juliane Jöckel, geb. am 5.7.1859, verh. mit einem Oesterreich nach außerhalb, und Johannes Jöckel, geb. ??? und 1903 nach Lanzenhain verheiratet. Da der Tod der Maria Jöckel von Juliane Merz, geb. Jöckel (Enkel?) angezeigt wurde, läßt vermuten, daß die Familie in "Merze-Müllers" oberhalb vom Greb, heute Glitsch, wohnte.

Von Georg Jöckel und Juliane weiß man nur von der Tochter Elisabetha, um 1835/36 geboren und mit 63 Jahren am 29.8.1899 gestorben. Johannes Ruppel 2., geb. um 1823/24, heirate in die Obermühle ein, so daß von da der Name Ruppel für hundert Jahre in die Mühle kam. Johannes Ruppel war der Sohn des Landwirts Georg Heinrich Ruppel und dessen Ehefrau Maria, geb. Schwab. (Emma Drenkers Vater, ein Schwab, war Petter des letzten der Ruppel, nämlich Ottos). Johannes Ruppel 2. starb mit 77 Jahren am 23.1.1901.

 

2. Rechtlicher Wandel seit Beginn des Jahrhunderts

3. Der Prozeß um den Wasserzins

4. Die Müllersfamilie Ruppel

Nachdem die in der Obermühle geborene Elisabetha Jöckel als sehr junges Mädchen den Eichelhainer Johannes Ruppel 2. heiratete (ca. 1851), blieb der Name Ruppel für hundert Jahre in der Obermühle. Am 4.6.1851 wurde der erste Sohn, Heinrich Ruppel 5., geboren. Die Mutter war 15 oder 16 Jahre alt. Dieses und das folgende Jahr waren Not- und Hungerjahre, da Mißernten (Hagel) aufeinanderfolgten. ....... Sodann wütete 1852 eine Ruhrepidemie, der besonders viele Kinder zum Opfer fielen. In manchen Familien starben mehrere Kinder.

Das nächste Kind, Katharina, kam neun Jahre später, am 14.3.1860, zur Welt. Das dritte, August, wurde wiederum neun Jahre später am 27.11.1869 geboren.

Heinrich heiratete als knapp 37-jähriger am 20.5.1888 Maria Link, Marich genannt. Sie kam aus 'Webers' Haus, das sind jetzt Leinbergers im Unterdorf, ihre Eltern Heinrich Link und Maria, geb. Hofmann. Ein Grund für die späte Heirat mögen die noch sehr kleinen Geschwister im Elternhaus gewesen sein.

Heinrichs Schwester Katharina heiratete mit 28 Jahren am 13.10.1888 in die Rickenmühle ein und wurde so eine Decher. Ihr Sohn war der spätere Rickenmüller Heinrich Decher 4. und ihre Enkeltochter die jetzt ??-jährige Marie Hanisch, geb. Decher. Die Mühle wurde Katharina auch zum Verhängnis: Katharina starb am 1. November 1921 durch einen tragischen Unfall in der Mühle, bei der ihre Kleider von der Transmission erfaßt wurde und sie mit der Kraft des Mühlrades aufgewickelt wurde. Der Bruder August des Obermüllers heiratete am 16.7.1893 mit 24 Jahren eine Elisabetha Schaaf aus der Zeilmühle in Ilbeshausen und wurde dort Müller.

Man sieht, die Müller hatten etwas mit dem Adel gemeinsam, sie blieben gerne unter sich.

2. Der letzte Obermüller

Der letzte wirklich mahlende Obermüller war also Heinrich Ruppel 5. (?). Er war verheiratet mit Marie ('Marich'), geb. Link Sie hatten nur eine Tochter, Bertha, geb. am 12.12.1896.

Heinrich war in der Obermühle als eines von drei Geschwistern geboren.

Noch am 22. November 1910 ließ Heinrich von seinem Vetter (?) Heinrich Ruppel 6., dem Großvater des jetzigen Reinhard Ruppel an der Oberdorfstraße, den oberen Flur im Treppenhaus mit Buchenbrettern, die man sich aus dem Jahrholz selbst schneiden konnte, dielen. Das Datum ist so genau bekannt, da auf der Unterseite einer 1986 abgerissenen Diele in deutscher Schrift stand: "Gedielt von Heinrich Ruppel 6. und Reinhard, den 22. November 1910".

Das folgende Jahr 1911 war ein besonders trockenes Jahr, das kaum Regen brachte und alles verdorren ließ. Es gab nicht nur weniger in der eigenen Landwirtschaft, sondern es war auch weniger zu mahlen.

Wann starb der Müller ?

 

D. Zwischen den Weltkriegen

1. Das Ende der Wassermühle

Im Jahr 1940 war dann das Mühlrad am Hausgiebel ganz zusammengestürzt, da das Eichenholz auch nicht für ewig hielt. Die Rickenmüllerin Marie Hanisch erinnert sich noch daran, daß sie als Kind zu Besuch bei Tante Bertha sich noch auf dem Mühlrad sonnen konnte.

2. Weiberwirtschaft in der Obermühle

Nach dem Tod ihres Vaters lebten die beiden Frauen Marie, genannt 'Marich', und Bertha (Mutter Marie Ruppel, geb. Link, und die einzige Tochter Bertha Ruppel, geb. 12.12.1896, gest. 15.1.1957) alleine in der Obermühle.

Die Mühle wurde nicht mehr betrieben (?) und deshalb auch nicht mehr gewartet.

Bertha lernte am Ende des Weltkrieges einen Berliner Soldaten kennen und lieben. Mutter Marich war strikt gegen eine Heirat, vielleicht weil sie fürchtete, daß ihre Tochter nach Berlin ginge und sie dann ganz allein in der Obermühle bliebe, ohne sichere Einkünfte, schon gar nicht im Fall von Krankheit oder im Alter. Man muß sich dabei vor Augen halten, daß die Mühle einsam in den Wiesen stand, das nächste Haus waren die "Beges" (jetzt Familie König). Wald, Wild und vielleicht auch Gesindel waren bedrohlich nahe. Allerdings hielt die Obermühle stets einen Schäferhund, der von den Riedeseln zum Füttern und zur Sicherheit des Hauses und seiner Bewohner zur Verfügung gestellt wurde.

Bei Schnee und Hochwasser, beides häufige Ereignisse, war man vom Dorf ganz abgeschnitten. Der Bach und Mühlgraben flossen östlich des Hauses in flachem Bett und übergossen in der Schneeschmelze, aber auch bei heftigen Regengüssen alles Land hinter und um die Obermühle. Man war schon froh, wenn es sich nicht seinen Weg auch noch durch Haus und Scheune suchte. In dringenden Fällen suchte man einen Fluchtweg über den jetzigen, westlich fließenden Bach, um über den 'Obermüllers Berg' an der alten Wetterfichte, an dem ein kleines zur Mühle gehörendes Feld lag, zum Dorf zu gelangen.

Das war tatsächlich keine Lebensaussicht für eine alte und alleinstehende Frau. Bertha besuchte dennoch ihren Geliebten in Berlin. Die Folgen blieben nicht aus und sie gebar 1921 einen Jungen, Otto, so daß die Obermühle wieder neues Leben bekam. Der Vater von Emma Drenker, xxx Schwab, war der Patenonkel (Petter) von Otto, die verwandschaftlichen Beziehungen reichen in die 1. Hälfte des vorigen Jh. (siehe Familie Jöckel).

Das Leben war karg in der Obermühle. Wichtige Lebensmittel konnte man sich erwirtschaften: Milch und damit 'Matte' (Quark) und Käse, der auf den Latten (der 'Spädass') über dem Ofen in der Stube zum Reifen gebracht wurde, etwas Getreide und damit Mehl und Brot, das wie seit uralten Zeiten im Dorfbackhaus gebacken wurde, Gemüse aus dem Garten, etwas Fleisch und Wurst vom jährlich geschlachteten Hausschwein, das gepökelt, gekocht oder geräuchert für ein ganzes Jahr langen sollte, zudem Marmelade aus den vielen Waldhimbeeren ('Reinsbeer') und so manches andere. Brot und Marmelade (mit und eher auch ohne Butter) gehörte zum täglichen Speisezettel: Morgens zum 'Kaffeetrinken', nachmittags zum 'Kaffeetrinken', dazwischen gab es als Mittagessen, so um 11 Uhr, eine Suppe und abends oft Bratkartoffeln mit und ohne etwas dazu. Fleisch gab es nur bei Festen und manchmal sonntags.

Zum Schlachttag kamen auch Leute aus dem Unterdorf. Es kamen Petter und Gothe, Vetter und Base und auch deren Nachkommen. Dann wurde gefeiert und sich insbesondere einmal satt gegessen. Zum Ende des Schlachtfestes wurde die "Worschtsopp" in der Nachbarschaft ausgetragen und für die Kinder ein kleines Blutwürstchen abgegeben, wenn sie es sich nicht schon vorher selbst abgeholt hatten. Emma Drenker erinnert sich noch gerne an die Besuche bei Bertha.

Nicht zu vergessen das Sauerkraut. Davon hatte man wenn möglich mehrere Fässer im Herbst eingemacht. Wurde das Fass dann einmal aufgemacht, gab es drei Tage lang Sauerkraut, am ersten ...

Aber schon zum Marmelademachen brauchte man Zucker und für Zucker Bargeld. Das war in diesem Haus so wichtig, denn nur noch die kleine Milchlieferung und der gelegentliche Verkauf eines Stückes Vieh brachte Bargeld ein. So mangelte es ständig an allem: Kein Geld für Zucker und Gewürze, ... der Samen für Gemüse und Dickwurz wurde zur Kostbarkeit und gehörte bei einem Brand zu den wichtigen zu rettenden Gütern.

In der Küche stand ein schwarzer gußeiserner eingemauerter Herd, in der Ecke ein gemauerter Kessel. Der Schornstein war schon bis auf den Boden heruntergezogen (früher endete er an der Decke, noch früher gab es nur einen Rauchfang mit einer schornsteinähnlichen Ableitung aus Holz und Lehm).

Marich starb 1933/34

Bertha fühlte sich vom Leben betrogen, wurde durch das einsame Leben mißtrauisch und galt als eine, mit der nicht "gut Kirschen zu essen war". Wahrscheinlich hatte auch der eine oder andere versucht, sie bei einem Geschäft übers Ohr zu hauen. Später hielt sie sich sogar zwei furchteinflößende Hunde, Senta und Mohr, die vor ihrem Bett schliefen.

Bertha hatte als landwirtschaftlichen Besitz den Garten vor und hinter der Obermühle, Wiesen im Traiges (jetzt im Besitz der Erben Hanisch aus der Rickenmühle) und Land bei der Fichte (das ist Obermüllers Berg (jetzt Winterholler).

Mit dem größer werdenden Jungen wuchs Bertha eine tüchtige Hilfe heran. Die Kinder im Vogelsberg wurden schon mit acht, spätestens mit zehn Jahren mit dem Vieh auf die Weide geschickt, konnten viel beim Füttern und Ausmisten und den vielen anderen Feld- und Hausarbeiten helfen. Nach Beendigung der Volksschule (1935?) ging Otto zur Arbeit (wo?) und brachte einen wenn auch kleinen Lohn mit nach Hause.

Diese Zeit der Hoffnung währte jedoch nicht lange. Zu Beginn des 2. Weltkrieges war Otto stolze 18 Jahre alt und Bertha hatte bis dahin eine große Hilfe. Dann kam die Mobilmachung und Otto mußte in den Krieg. Mit 22 Jahren fiel er am 14.8.1943 in Rußland. Eine Zeile auf der Gedenktafel auf dem Friedhof wird bald die letzte Erinnerung an ihn sein.

Bertha schlief in der Nebenstube, wo sie ihr Bett unter das kleine hintere Fensterchen gestellt hatte. Mit ihr bewohnten die Hunde Senta und Mohr das Zimmer.

Exponiert und einsam war das Haus allemal, wenn man bedenkt, daß es vom Haus "Beckes" der Familie Jost (jetzt Familie König) in der Oberdorfstraße xx bis zur Obermühle kein Haus stand. Das hat sicher zu einem gewissen Ruf des Hauses (und vielleicht auch seiner Bewohner) beigetragen. Beckes hatten eine Landwirtschaft, ein Gasthaus und später bauten sie an der Stelle ihres Gartens den Saal, der für die ganze Gegend attraktiv war. Die Familie war vergleichsweise wohlhabend. Sie hatte zeitweise zwei Dreschmaschinen mit einem Lokomobil für die herbstliche Lohndrescherei.

3. Eichelhainer Hütejungen

Jeder Bericht über einen Vogelsberger Bauernhof wäre mangelhaft, wenn man nicht über die Hütejungen berichtete. Ein Hütejunge, der in der Obermühle von ca. 1938 bis 1943, als er noch mit 15 Jahren (!) in den Krieg ziehen mußte, war Karl Krömmelbein (* 1928) aus der Weidenau. Als er in der Obermühle anfing, war er 10 Jahre alt. Später wurde er Knecht in der Obermühle.

Lohn eines Hütejungen pro Jahr: 1 Anzug, 1 Paar Schuhe und ein Hemd, dann das Essen von Mittag (nach der Schule) bis Abend, was aber oft noch genug Hunger übrig ließ. (Sprichwort: "Lieber vor Bauch nicht liegen, als vor Hunger nicht schlafen). In der Ferienzeit ganztägiger Dienst, sonntags sowieso eingeschlossen.

Arbeiten: Sommer: Kühe hüten, ausmisten, helfen bei der Feldarbeit rund um Dickwurz und Kartoffeln, Heu machen. Auf den zum Hof gehörenden Wiesen wurde Heu gemacht, wenn möglich auch Grummet. In schlechten Jahren gab es so spätes Heu im Juli, daß ein zweiter Schnitt unmöglich war.

Gehütet wurde auf der Allmende, also Gemeinbesitz der Bauern, dazu auch auf Feldwegen, im Wald und wo sonst etwas wuchs. Von der Obermühle war es nicht weit zur Allmende: Sie fing einmal dort an, wo jetzt Schötts Häuser stehen, also an der alten Brücke aus Bilsteinen und zog sich am jetzigen Bach entlang bis zum Traiges (jetzt Abladeplatz für Bauschutt) vor dem Wald, zum anderen gab es die untere und obere Pfingstweide (ungefähr entlang des alten Totenweges von Lanzenhain her). Wo jetzt von Schötts aus der Teerweg hinauf zu den Heufeldern und zum Wald führt, war früher ein sehr breiter Viehtrieb mit Felsen und Gestein übersät und netzartigen Trampelpfaden der Kühe dazwischen. Dorthinauf zogen die Hirten mit dem Vieh und blieben den ganzen Tagen dabei.

Überall lagen große Felsen und Basaltklötze auf den Weiden herum, Büsche und Bäume wuchsen zwischen den zusammengelesenen Steinen auf Wällen und ergaben so eine abwechslungsreiche Landschaft.

Auf der Allmende hütete jedermann. Wenn die Kühe sich vertrugen, konnten sie durcheinanderlaufen, sonst mußten sie getrennt beaufsichtigt werden. Manches aus diesem Hüteleben mutet heute romantisch an, erlebt wurde es jedoch ganz anders. Schön war es wenigstens, wenn die Wildkirschen reif waren, konnte man sich doch dann einmal richtig satt essen. Sie waren so klein, daß sie mit Stein gegessen wurden. Kleine Steinhäufchen an den Rainen und zwischen den Hecken zeugten noch einige Zeit danach von satten Tagen.

Zwei Sprüche zeugen eindrucksvoll vom Leben der Hütejungen:

"Wann's Schutte (Felderbsen und Linsen) gett unn Beer, konn mech der Honger om Aorsch geleacke!"

"Abbes es emmer: Em Sommer donnerts unn em Weinter moß ech en dee School,"

Zur Obermühle gehörten drei, auch einmal vier Kühe und ein oder zwei Rinder. Kälber wurden im Stall versorgt und meist bald verkauft, damit etwas Geld einkam.

Winter: Häcksel machen, d.h. Häcksel schneiden, Dickwurz putzen und mahlen, mischen, füttern, Kühe tränken mit Wasser aus dem Mühlbach hinter dem Haus.

 

E. Nachkriegszeit

1. 'Bohlers' tauschen ein Haus

Johannes Geist, der mit seiner Familie in 'Bohlers' Haus (an der Ecke der Engelröder Straße, zwischen Spöhrer und Bläser, 1975 abgebrannt und nicht wieder aufgebaut) wohnte, hatte die traurige Pflicht, Bertha Ruppel die Nachricht vom Tod ihres Sohnes Otto zu überbringen. Bald kam ihm dabei auch der Gedanke, mit Bertha das Haus zu tauschen, da ihm das seinige viel zu klein war.

Johannes Geist stammte aus Helpershain, wo seine Familie 'Bohlers' genannt wurde. Er war dort am 17. September 1892 geboren als einer von acht Brüdern. Einer von ihnen war kränklich und blieb zu Hause, die anderen mußten sich eine Existenz aufbauen (Erfahrungssatz von Waehnersch Lies aus Maar: "Viele Brüder, schmale Güter"). Im Jahre 1916 heiratete er Anna Ruppel (* 21. August 1893) aus 'Keils', der Dorfschmiede (jetzt Schultz) und wohnte zunächst noch in Helpershain. Dort wurde auch Karl geboren (* 2. Juni 1916) und von der Eller (seiner Großmutter) mit betreut. Die Verhältnisse waren sehr einfach, die Heirat durch die Tatsachen erzwungen und der Vater sehr ungehalten darüber (Karl erzählte von vielen erschütternden Szenen, denen er als "Ursache" der Misere ausgesetzt war: "Gab mer a Measser, daß ech enn absteach"). Dann zogen sie nach Eichelhain und hatten vier weitere Kinder: Marie (ging nach Frankfurt), Heinrich (nach Romrod), Otto (nach Fauerbach) und Johanna, 16 Jahre jünger als Karl (* 27. Oktober 1932).

Am 15. November 1941 heiratete Karl seine Frau Toni (* 7. April 1923), geb. Leinberger, aus Rebgeshain. Im Jahr 1945 wohnten noch der Sohn Karl und dessen Frau Toni sowie ihr 1942 geborener Sohn Herbert (* 22. April 1942) und Karls Schwester Johanna im Haus. Johanna ging 1949 als Magd nach Wallenrod, dann zu Bonacker in Heblos. Dort heiratete sie, wurde eine Becker und lebt heut noch dort in eigenem Haus.

Nachdem also 'Bohlers' Haus zu klein und die Obermühle für Bertha Ruppel zu groß war, wurde der Tausch bald besiegelt. Auch Karl gefiel das Anwesen, lag es doch am oberen Dorfende in friedvoller Landschaft inmitten von Wiesen am Bach, wo eine wachsende Familie Platz hatte und eine kleine Landwirtschaft geführt werden konnte. Karl war wie so viele im Krieg in Rußland im Nordabschnitt der Front und hatte im Heimaturlaub 1944 (nach einer Verwundung) seine Zustimmung gegeben. Schließlich war bei dem Tausch eine Zuzahlung zu leisten, für die er wesentlich aufzukommen hatte. Im April 1945, also kurz nach dem Einmarsch der Amerikaner im Vogelsberg, zog man um.

Beim Umzug war Karl nicht dabei: Zu dieser Zeit war er in amerikanischer Kriegsgefangenschaft im Lager Remagen und kam erst am 15. Juni 1948, also mitten in der Heuernte, aus der Kriegsgefangenschaft heim. Am Kriegsende war er unglücklicherweise noch in die Hände der Franzosen geraten, obwohl er es auf abenteuerlichem Weg fast bis nach Hause geschafft und damit nur noch amerikanische Gefangenschaft riskiert hatte. Die Franzosen verfrachteten ihn zur Arbeit in die Nähe von Aubagne und zuletzt für zwei Jahre nach La Valentine (bei Marseille) in eine Mühle. Der Patron Donato hielt nichts von guter Verpflegung seiner Arbeitskräfte und so wurden es zwei hungrige Jahre. Doch hatte er eine Kraft, die sich in der Wartung und im Einsatz der Maschinen bestens auskannte. Ein wenig Linderung verschafften ihm die Köchin sowie Huguette, die jetzige Mme Pallafer, zu der jetzt noch eine Verbindung besteht.

Wer zog um ? Auch Johanna und zwei bereits geborene Kinder. Wer ?

Am Tag der Heimkehr war gerade die Wiese um die Obermühle herum gemäht worden, so daß Karl gleich zum Heurechen zu greifen hatte, um in mühevolle Jahre der in der Obermühle zu beginnenden Landwirtschaft einzutreten. Eine Wiese in den Heufeldern war gekauft worden, deren Hypothek war abzutragen und weitere Käufe in den Heufeldern standen bevor. Drei Milchkühe mit dem zugehörigen Nachwuchs war der wesentliche Tierbestand, erst in den siebziger Jahren nach Aufgabe der Viehwirtschaft gab es auch Ziegen, um die Schweine mit Milch zu füttern.

 

2. Das Leben mit einer zu kleinen Landwirtschaft

In der Obermühle wurden dann seine weiteren Kinder Karl-Heinz (* 15. September 1949) und Gudrun (* 28. Juni 1954) geboren. Im Jahre 1949 verließ Johanna das Haus und ging als Magd nach Wallenrod.

Gaschlers bauten 1949 zuerst ihr Wohnhaus und danach Stall und Scheune, zuvor wohnten sie übergangsweise in der Schule. Karl half mit zu bauen. Da es zu dieser Zeit kein Material zu kaufen gab, machten sie die Lehmsteine selbst mit der Hand. Fundamente wurden aus rauhem Basalt gemauert, die man im Feld oder aus der Bach holte. In dieser Zeit standen die mitgebrachten Pferde noch in einem Holzschuppen hinter Schmidts Hermann (früheres Haus von Schwab), Vorräte und Geräte standen verteilt im Dorf.

Schötts bauen,

Veränderungen der Obermühle: Instandsetzungen, Mühlgraben, Flurbereinigung

Der Mühlgraben wurde mit 370 Muldenkipper vom Aushub der Gebäude Pfitzner in Engelrod aufgefüllt (60er Jahre). Rudolf Schött hatte die Vision,, daß das Gelände von der Halle der Jagdgenossenschaft bis zur Obermühle eben werden sollte. Karl konnte sich das zunächst nicht vorstellen, hat aber dann Graben und Schluchten auffüllen lassen. In diesem tief gelegen Bereich gab es neben Erlen und Weiden auch noch ein Stückchen Wiese.

Die Landwirtschaft war stets nur ein Nebenerwerb, aber schon 1952 änderte sich die Lage erheblich, als Karl die Obermühle übernahm und seinen Eltern den Auszug gab. Dieser sah vor: 150 Pfd. gut ausgemästetes Schweinefleisch per anno, 130 Eier, Kartoffel und Kraut aus dem Kellervorrat nach Bedarf, 12 Pfund Brot pro Woche, .... Im Fall, daß die Alten keine Rente mehr bekamen, war eine bare Zuzahlung von ?? vorgesehen. Dieser Vertrag mußte penibel eingehalten werden, sonst wurde mit dem Rechtsanwalt gedroht.

Die Landwirtschaft als Basis des Auszugs konnte gar nicht diese Dinge hergeben, sollte sie doch die eigene Familie auch noch etwas miternähren. So war Karl gezwungen, auch für den Auszug arbeiten zu gehen. Die folgenden Jahre waren für Karl und Toni sehr schwer, sie fühlten sich unfair behandelt und mußten hart arbeiten, ohne daß sie merklich über das Existenzminimum hinauskamen.

Arbeit bei der Dreschmaschine. Karl hat mit der Dreschmaschinenarbeit 1932 bei Julius Schneider aus Ober-Mörlen in der Wetterau begonnen. Nach dem Krieg war er 17 Jahre lang "Maschiner" bei der Hebloser Dreschgesellschaft (1951 - 1967). Diese arbeitete im Lohndrusch, zunächst nur in Rimlos, Heblos und Sickendorf, später durch aktive Akquisition auch in Gunzenau, Veitshain, Hartmannshain und Herchenhain. Die Dreschmaschine war Karls ganzer Stolz, da er sie technisch fit machte und hielt und für neue Kunden sorgte, was auch seinem Beruf Sicherheit gab.

Da die Maschine nur in der Dreschsaison lief, war für die andere Zeit eine andere Arbeit notwendig. Karl arbeitet in der Bauwirtschaft, meist bei Ruhl, aber auch in 1967 bei einer Gießener Firma nach einem Unfall. Da stand er kurz vor Weihnachten ohne Geld da und mußte zusehen, wo welches herkommen konnte.

Die Landwirtschaft wurde Anfang der siebziger fast stillgelegt. Zuerst wurden noch Ziegen und Schweine für den eigenen Bedarf, dann nur noch das Schlachtschwein gehalten. Das letzte wurde 1975 gefüttert und im folgenden Winter geschlachtet. Kurz zuvor erfolgte der Umzug ins neue Haus.

1976 ging Karl in Rente als 60-jähriger, da neue Arbeit nach einem Jahr Arbeitslosigkeit nicht mehr in Aussicht war.

Gudrun heiratete Jürgen Naß aus Engelrod. Danach wurde wieder ein Übergabevertrag geschlossen: Gudrun und Jürgen hatten von diesem Moment an Eltern und Großeltern zu versorgen, doch ging es von dieser Zeit an wirtschaftlich besser und besser. Ihren Eltern halfen sie damit aus der nicht enden wollenden mißlichen Lage mit zuwenig Verdienst und einem knebelnden Altenauszug.

, Umbau oder Neubau?, Neubau und Hausverkauf

Johannes Geist starb am 6. Oktober 1975 im Alter von 83 Jahren in der Obermühle, nachdem er schon längere Zeit bettlägerig war. Er hatte Einsitzrecht behalten und starb in seiner gewohnten Umgebung. Seine Frau Anna zog danach ins Haus ihrer Enkelin Gudrun und von Jürgen Nass um, in dem auch Karl und Toni Geist wohnten. Sie lebte dort in Rüstigkeit noch fünf Jahre, kam gerne mal zu einem Schwätzchen über die alten entbehrungsreichen Zeiten in die Obermühle. Sie wollte nach dem Tod von Hannes vom Einsitzrecht keinen Gebrauch mehr machen, drohte aber zuweilen ihrer eigenen Familie, wenn ihr etwas nicht paßte, wieder in die Obermühle zu ziehen. Erst der Hinweis, daß man ihr kein Essen hinüberbringen würde, brachte sie zur Einsicht. Im übrigen wäre das Wohnen in der noch nicht vollständig renovierten und nicht dauernd bewohnten Obermühle schwierig gewesen, das Wasser wäre im Winter eingefroren, ein einzelnes Zimmer wäre kaum gemütlich warm geworden und vieles mehr.

Einzig mit der alten Frau Winterholler hielt sie Kontakt (eine Cousine, die Mutter heiratete nach Keils). Sie starb in ihrem 87. Lebensjahr am 23. Juni 1981. Am 24. Juni rief das Jugendamt an und kündigte den Thomas an. So löst eine neue Generation eine frühere ab.

Karl war ein guter Nachbar für uns. Er heizte das Haus vor, wenn wir in der kalten Jahreszeit zum Wochenende oder in Ferien kamen, er achtete darauf, daß die Wasseruhr nicht einfror, bewachte das Haus vor Gesindel und allzu Neugierigen. Wenn es was zu basteln oder zu tüfteln gab, war er zu Stelle mit Rat und Werkzeug. Dabei hatte er viele gute Ideen, wie z.B. den Verschluß des Pferdestalls. Er schärfte mir Messer, Äxte usw., eine richtige Spezialität waren die Sensen. Beim Holzspalten mit Axt und Keilen gab er Ratschläge: "Das Holz reißt, wie der Vogel scheißt" (also von oben nach unten.

Viel erzählte er von seiner Last mit der Landwirtschaft und vom Krieg in Rußland und der Zwangsarbeit in La Valentine. Bald kannten wir bestimmte Geschehnisse auswendig.

Karl Geist lebte 15 Jahre im neuen Haus und starb nach längerem Leiden am 20. Juli 1990. Er wußte, daß er nicht mehr gesund werden würde und beschloß im Frühsommer 1990, keine Medikamente mehr zu nehmen. Da er aber auch fast nichts mehr aß und nur noch etwas Milch trank, in den letzten 30 Tagen aber nur noch Wasser, war er vollständig abgemagert. Seine unverwechselbaren Humor hatte er bis zum Schluß bewahrt. Als Annelie ihm Misteltropfen brachte, meinte er, daß er es dann wohl auch noch schaffte, mit ihr zur Kirmes zu gehen. Sein Todestag war ein schöner Hochsommertag, wir hatten das Heu eine Woche vorher trocken eingebracht und hatten tags zuvor Heidelbeeren gesammelt mit unseren und Gudruns Kindern. Am 23. wurde er beerdigt unter strahlender Sonne. In den stillen Momenten hörte man von den Felder die Wachtel schlagen, das war Beerdigungsmusik nach Karls Art. Er liebte die Vögel und kannte sie, hatte wohl früher auch welche gefangen und gezähmt. Es waren sehr viele gekommen: aus dem Dorf., die vielen Cousins und Cousinen aus Helpershain, die alten Dreschgenossen aus Heblos, natürlich die Verwandtschaft. Ich selbst war Sargträger, Annelie schenkte Kaffee im Dorfgemeinschaftshaus aus. Henning und Annika erlebten zum ersten Mal den Tod.

Am gleichen Tag gab es die Jahrholzlose. Tags darauf holten wir das Holz vom 'Haferacker', westlich vom Geiselstein.