Eichelhain
und die Obermühle
I. Die Obermühle von
Eichelhain
A. Lage und heutiger
Zustand
Ortsende von Eichelhain,
komplett restauriert
B. Ein typisches
Vogelsberger Einhaus
Die Obermühle ist ganz
in der Tradition Vogelsberger Bauernhäuser als ein
einziges Haus für Mensch, Vieh und Vorräte unter einem
langen Dach gebaut worden. Diese Hausform, Einhaus
genannt, findet man immer weniger, da für zeitgemäßes
Wohnen und Wirtschaften immer mehr Um- und Anbauten
vorgenommen werden, insbesondere rechtwinklige Anbauten,
die kürzere Transportwege auf dem Hof ermöglichen,
verändern das frühere Bild erheblich. In Eichenrod kann
man jetzt noch einige stattliche, wenn auch
renovierungsbedürftige Einhäuser sehen.
Die Einhäuser waren aus
ehemals getrennten Häusern, nämlich Wohnstallhaus und
Scheune, teilweise organisch zusammengewachsen, danach
auch in einem Stück als Neubau aufgestellt worden.
Das Einhaus gliedert
sich in den Wohnteil an einem Giebelende, die Ställe in
der Mitte mit anschließender Scheune und den
Vorratsräumen für Heu und Stroh auf der anderen Seite.
Kommt man zur Haustür hinein in den bei uns engen Flur
("Earn"), so steht man sogleich vor der Treppe
in den Oberstock. Geradeaus weiter geht es in die Küche,
die immer an dieser Stelle liegt. Links von der Haustür
liegt für gewöhnlich die gute Stube, bei uns die
Mühlstube, die zuvor jedoch die Müllerei enthielt, und
bis 1980 nicht als Wohnraum diente. Die frühere Stube
war bei uns zur rechten der Haustür, wo sonst in den
Einhäusern schon der Viehstall beginnt.
Die Mahleinrichtungen
nahmen den Keller unter der Mühlstube und diese selbst
ein. Der Boden war vielfach durchbrochen, um Übergänge
für Transmissionen und Schächte zu schaffen. Auch der
Abgang zum Keller war hier und nicht im Earn. Die
Verlegung dieser Kellertreppe in den Earn haben Johannes
und Karl Geist vorgenommen, als der Boden im Flur
zusammenbrach und vollständig erneuert werden mußte.
Die gute Stube rechts
(sofern in anderen Häusern als zweite Stube vorhanden,
wurde sie "Nebenstube" genannt) war nur durch
die vordere Tür erreichbar, hatte also keinen Ausgang
nach hinten. Die hintere Wand war geschlossen, enthielt
jedoch das noch erhaltene und in die erneuerte Wand
wieder eingesetzte Fensterchen, das etwas zusätzliches
Licht hereinließ und einen Blick durch das
dahinterliegende Fenster auf die Wiese möglich machte.
Die Küche hatte wohl in
alter Zeit einen offenen Rauchfang an der Stelle, wo
jetzt der Schornstein steht, wie am Deckengebälk noch zu
erkennen ist. Die alten Rauchfänge waren aus Holz und
Lehm gefertigt, wie halt das ganze Haus. Da sie nur einen
Durchlaß durch das Obergeschoß (sofern vorhanden)
bildeten und der Rauch ohne Einschränkung den Speicher
durchzog, um sich durch Ritzen im Strohdach einen Weg
nach draußen zu suchen, kam es oft zu Bränden. So
erliessen die Freiherren Riedesel eine Verordnung (Ende
18. Jh.), daß alle Schornsteine aus Backsteinen zu bauen
seien und das Dach zu überragen hätten. Das war
sicherer und hatte für die Riedesel den angenehmen
Nebeneffekt, daß der Absatz ihrer Ziegelei bei
Angersbach nachhaltig gefördert wurde. Die Schwärze der
Deckenbalken in der Küche ist jedenfalls original. Der
Schornstein wurde danach aus Backsteinen gemauert,
reichte jedoch nur bis an die Decke der Küche, der Art
des alten Rauchfanges entsprechend. Erst später wurde er
auf den Boden heruntergezogen. Das Dachgebälk der
Obermühle ist nicht verräuchert, also ist es
(wahrscheinlich wesentlich) später entstanden.
Von der Küche gelangte
man durch den Gang hinter der Stube direkt in eine
Futterkammer (in 1976 als Duschbad und Toilette
ausgebaut), in der die Rüben geschnitzelt und mit
Häcksel gemischt wurden, und danach in den Stall. Aus
dem kleinen Gang konnte man durch eine einfache
Brettertür auf die Wiese unter den Zwetschenbäumen
gehen. Die Veranda wurde um 1980 mit Edmund Nickel und
seinen Freunden gebaut. Die Sandsteinplatten im Boden
kamen aus dem Kuhstall des Maarer Elternhauses.
Die kurze Verbindung von
der Küche nach draußen hatte für die jeweilige
Obermüllerin den Vorzug, schnell Wasser für die Küche
aus dem Mühlbach an der Stelle der
"Scheppkaut" holen zu können. Ein Brunnen war
ja überflüssig. Das wenige Abwasser floß über den
"Gossenstein" in der Küche wieder dem
Mühlbach zu. Die Küche hat ein kleines Fenster, und
zwar das rechte der beiden heutigen Fenster.
Der Oberstock war nicht
viel anders als heute. Über der Stube befand sich ein
großes Schlafzimmer, über der Küche die
"Küchenstube", die wohl klein, aber ihrer Lage
wegen durch den Schornstein im Winter leicht mitgeheizt
und somit bei alten Leuten beliebt war. Ihre Trennwand
zum Treppenhaus lag früher um ca. 1.20 zurück unter dem
unter der Decke verlaufenden dünnen Balken. Sie war also
noch kleiner als jetzt, Der Schornstein ging durch den
oberen Flur, der im übrigen mehr Stellfläche bot.
Über der Mühlstube lag
die "Oberstube", die nur dreiviertel ihres
Raumes einnahm, weil dahinter, durch eine Lehmwand mit
Brettertür getrennt, die Vorratskammer lag. Diese sog.
"Wurstkammer" war so gegen hungrigres Gesinde
und Kinder durch das Schlafzimmer des Obermüllers und
seiner Frau gut geschützt. Die Zwischenwand wurde 1983
entfernt, die hinteren Deckenbalken und die
"Doh" wurden ausgetauscht und ein zusätzliches
Fenster mit Sicht auf dir Wiese eingesetzt. Die
Bodenbretter habe ich in Bremen anfertigen lassen, da
selbst diese bescheidene Dielenbreite sonst nicht mehr zu
haben ist. Die Dielen im oberen Treppenhaus waren zuletzt
1911 durch den Eichelhainer Schreiner Heinrich Ruppel 6.
erneuert worden durch Buchendielen, wie auf der
Unterseite einer Diele zu lesen war.
Der Aufgang zum Speicher
war in einem Gehäuse mit einer Brettertür davor. Aus
dem unteren Schwellenbalken, schön durch Holzwürmer
ausgehöhlt, wurde der dicke, runde Kerzenständer
gedrechselt.
Die Gebäudeteile vom
Stall zur Scheune brauchen hier nicht näher beschrieben
werden, da sie noch so zu sehen sind, wie sie seit langer
Zeit genutzt wurden. Lediglich die Stallwände dürften
ganz am Anfang auch in Fachwerk aufgeführt gewesen sein.
Wegen der vom Boden aufsteigenden Feuchtigkeit aus dem
Stall, dem Kondenswasser und dem aggressiven Ammoniak
waren sie bald verfault und wurden wiederholt durch
Mauerwerk erneuert. Dieses hatte auch keine lange
Lebensdauer, vor dem jetzigen Kaksandstein gab es eine
Backsteinwand.
Viele alte Vogelsberger
Häuser sehen am Übergang vom Wohnteil zum Stall wie
angebaut aus, jedoch handelt es sich in jedem Fall nur um
eine Erneuerung des Balkenwerks im Stallbereich. Dem Stil
bzw. der Zimmermannskunst der jeweiligen Zeit nach
wechselt deshalb an dieser Stelle manchmal die Bauweise.
Ursprünglich waren die Schwellenbalken durchgehend; wenn
sie zu Ende waren, wo auch immer, wurden sie vom
nächsten angesetzt.
Durch die wenig
intensive Nutzung als landwirtschaftlicher Hof in diesem
Jahrhundert (und durch den permanenten Mangel an Geld)
hat die Obermühle keinen Anlaß zur Erweiterung und
Umarbeitung gegeben und hat so fast rein ihre
Gesamtansicht als Einhaus bewahrt. Wie eh und je steht
sie in der sie ganz umgebenden Wiese und trotzt Wind und
Wetter, die in dieser Lage "aus erster Hand"
kommen.
C. Alter und
Bauabschnitte der Obermühle
Sehen wir uns das
Gebäude, sein Balkenwerk und seine Machart genauer an.
Im Vergleich zu Häusern aus dem 18. Jh. oder davor
fällt auf, daß der "wilde Mann" als
Eckverstrebung und statisches Element völlig fehlt.
Weiter sind Unterstock und Oberstock aus
unterschiedlichem Holz: Das Fachwerk unten ist aus
massiver starker Eiche gefertigt, der ganze Oberstock
besteht aus dünnerem, aber immer noch den statischen
Anforderungen genügendem Tannen- bzw. Fichtenholz.
Zur Unterschiedlichkeit
von Unter- und Oberstock gibt es eine Erzählung, deren
Aussagen leider nicht präzisiert werden können. Als die
Obermühle von Bohlers (Familie Geist) übernommen worden
und Berta Ruppel in Bohlers Haus gezogen war, war Karl
Geist um Weihnachten bei Bertha zu Besuch. Da es sehr
mild war, fiel Bertha ein zu erzählen, daß es ebenfalls
zu Weihnachten gewesen sei, daß ihre (Ur)Großmutter
hinter der Obermühle im Freien gesessen hätte, um in
der Bibel zu lesen. Da sei ein Gewitter aufgezogen und
ein Blitz sei ins Haus eingeschlagen. Der obere Stock
wäre abgebrannt.
Vielleicht hat man dann
mit einfacherem Holz wieder aufgebaut, jedoch zeigt das
Balkenwerk im Unterstock keine Brandspuren außer im
Deckengebälk der Mühlstube. Solche Balken können auch
von anderer Seite gekommen sein, da man noch intaktes
Gebälk immer wieder verwendete, bis die vielen
benötigten und überflüssigen Zapflöcher und andere
Abnutzungen dies nicht mehr zuließ. Die Obermühle ist
wohl recht gleichmäßig von oben abgebrannt, da der
Übergang von Eiche in Fichte im ganzen Haus, also im
Wohnbereich wie im Pferdestall zu sehen ist. Vielleicht
war es tatsächlich wegen des reichlich vorhandenen
Wassers möglich, das Haus zu retten. Das Gebälk des
Oberstocks ist im Stil dem Untergeschoß angepaßt. Alle
Balken sind mit römischen Zahlen durchnummeriert, was
auf einen Zimmermannsbetrieb als Auftragnehmer schließen
läßt.
Das von außen sichtbare
Fachwerk ist keine 200 Jahre alt, doch gibt es im Inneren
ältere Teile. Die Trennwand zwischen Flur und Küche zur
Mühlstube zusammen mit dem Balken über der Wand
zwischen Flur und Küche, der sich in der Doh der
Mühlstube fortsetzt. ist wesentlich älter. Die Balken
sind bedeutend stärker bzw. auch unförmiger,
unregelmäßig und krumm, sie sind alle nicht gesägt
sondern mit der Axt geglättet und gekerbt. Auch sind sie
nicht richtig mit der Außenwand verzapft, wie man in der
Mühlstube sieht. Da hat man also ein neueres Haus um
einen alten Kern herumgebaut, das sieht eher noch mehr
nach den Folgen eines Brandes aus. Das vorige Haus muß
dann aber auch schon eine stattliches Aussehen gehabt
haben, denn die Tiefe des Hauses ist gleich geblieben,
ebenso die großzügige Stockwerkshöhe.
Im Dorf gilt die
Obermühle als ältestes Haus. Vom Fachwerk her scheint
das jetzige Gebäude sie das nicht zu sein, aber
höchstwahrscheinlich vom Standort her bzw. der
'Obermühle' als Haus an diesem Platz. Dafür spricht die
günstige Lage am ehemaligen Bachlauf mit der einfachen
Nutzung des Wassers durch ein Wasserrad am Rande der
kleinen Schlucht. Daß in der Zeit vor der Existenz von
Straßennamen (erst Anfang der siebziger Jahre wurden
offizielle Straßennamen vergeben) die Obermühle das
Haus Nr. 1 war und auch jetzt noch die
Schimmelreitergruppe an Sylvester hier ihren Umzug
beginnt, kann nicht als schlüssiger Beweis angeführt
werden.
II. Die Bewohner der
Obermühle
A. In alter Zeit
1. Kurze Geschichte
Eichelhains
Abseits der großen
Verkehrswege liegt Eichelhain im Tal der Schlitz, später
Eisenbach, das vom Oberwald nordwärts zieht.
Eingeschmiegt zwischen den Höhenzügen liegt es oberhalb
500 m NN, den Winden und Steigungsregen des Vogelsberges
ausgesetzt. Durch seine Nordlage scheint es das Zentrum
von Hessisch-Sibirien zu sein, weist im Winter
durchschnittlich zwei Monate Schnee auf mit gewöhnlich
starken Verwehungen. An Obst gedeihen nur die Zwetschen
und selbstverständlich Wildkirschen, aber keine Äpfel
oder anderes Kernobst. Überraschenderweise gibt es in
Eichelhain zwei Walnußbäume. Als Folge des rauhen
Klimas gibt es sehr viele seltene Pflanzen und Blumen
(Arnika, Türkenbund, ...), darunter einige alpine Arten.
Wegen der klimatischen
Lage ist eine späte Besiedlung als mittelalterliche
Siedlung anzunehmen. Wesentlich früher war der
Lauterbacher Graben (von Maar über Lauterbach nach
Fulda) besiedelt, erst der knapper werdende Boden ließ
die Menschen in die kargeren und rauheren Höhen ziehen.
Eine genaue Datierung
der Entstehung von Eichelhain zwischen 800 und 1200 ist
schwierig.
Fragliche Aussagen: Erst
15(?)86 wird der Name "Uchelhain" in einem
Herbsteiner Rentenverzeichnis der Herren von Rabenau
verwandt. In den Archiven der Freiherren Riedesel wird in
einer Urkunde vom 1. Mai 1483 ein Henne Uchelheyner als
Zeuge und Schöffe genannt.
Da es glaubwürdig ist,
daß Eichelhain seinen Namen vom Vornamen
"Eigil" ableitet, gibt es mehrere Bezüge.
Einmal gab es einen 1289 erwähnten Ort Eigilshain, der
bei Herchenhain im Gericht Crainfeld gelegen haben soll
und hundert Jahre später wüst war. Denkbar ist auch ein
Bezug zum fünften Fuldaer Abt Eigil oder Aigil (819 bis
832), der den Ort gegründet haben könnte. Dafür
spricht die Nähe zu fuldischem Land, dagegen seine
Zugehörigkeit zum Kloster Hersfeld.
Später kam Eichelhain
unter die Herrschaft der Grafen von Ziegenhain, bevor das
Dorf von den Eisenbachern und in Erbfolge von den
Riedeseln zusammen mit dem ganzen Gericht Engelrod als
Lehen verwaltet wurde.
Zum sog. Junkerland
gehörte Eichelhain bis zum Jahre 1806, wo es durch den
Reichsdeputationshauptschluß zu Hessen-Darmstadt kam.
Dieses Ereignis hatte tiefgreifende Folgen für die
Obermühle, wie wir später sehen werden.
2. Müller und Bauer
unter den 'Herren'
3. Das Leben am Rande
des Oberwaldes
Nichts Genaues weiß man
nicht.
B. Die Obermühle im
19. Jahrhundert
1. Die
Müllersfamilie Jöckel
Durch den später zu
schildernden Prozeß um den Wasserzins sind Abschriften
der Gerichtsakten vorhanden, die zugleich Auskunft über
die Müller zu Beginn des 19. Jh. geben. Die weiteren
Familienverhältnisse konntem mit den Eintragungen im
Standesamt (und den Kirchenbüchern aus Engelrod)
geklärt werden.
In den Jahren der
napoleonischen Besetzung war der Vater Adam Jöckels
Müller in der Obermühle. Adam Jöckel, verh. mit
Katharina, geb. Peppler, übernahm die Mühle 1819. Wir
wissen von zwei Söhnen: Georg Jöckel, der die Mühle
nach dem Konkurs des Vaters im Jahre 1833 übernahm und
später den Prozeß führte, und Johannes Jöckel.
Georgs Lebensdaten
kennen wir (noch) nicht, er heiratete Juliane Roth aus
Eichelhain (Eltern: Georg Roth 1. und Helena, geb. Roth,
Weber und Landwirt aus Eichelhain). Juliane Roth wurde
1805/06 geboren und starb in der Obermühle am 27.8.1877
mit 71 Jahren. Ihr Tod wurde vom Schwiegersohn Johannes
Ruppel 2. angezeigt.
Der weit jüngere Bruder
Johannes Jöckel muß um 1829/30 geboren sein und starb
am 26.4.1897 mit 67 Jahren in Eichelhain. Er war
Mühlbauer von Beruf und heiratete die Tagelöhnerin
Maria Mosbach, geb. um 1819/20, gest. 10.10.1907 mit 87
Jahren. Sie war die Tochter des Heinrich Mosbach und Frau
Anna, geb. Greb, Landwirt in Eichelhain. Johannes und
Maria hatten drei Kinder: Peter Jöckel, geb. 11.7.1850,
verh. am 27.4.1879 mit der Tagelöhnerin Margaretha Rahn,
Juliane Jöckel, geb. am 5.7.1859, verh. mit einem
Oesterreich nach außerhalb, und Johannes Jöckel, geb.
??? und 1903 nach Lanzenhain verheiratet. Da der Tod der
Maria Jöckel von Juliane Merz, geb. Jöckel (Enkel?)
angezeigt wurde, läßt vermuten, daß die Familie in
"Merze-Müllers" oberhalb vom Greb, heute
Glitsch, wohnte.
Von Georg Jöckel und
Juliane weiß man nur von der Tochter Elisabetha, um
1835/36 geboren und mit 63 Jahren am 29.8.1899 gestorben.
Johannes Ruppel 2., geb. um 1823/24, heirate in die
Obermühle ein, so daß von da der Name Ruppel für
hundert Jahre in die Mühle kam. Johannes Ruppel war der
Sohn des Landwirts Georg Heinrich Ruppel und dessen
Ehefrau Maria, geb. Schwab. (Emma Drenkers Vater, ein
Schwab, war Petter des letzten der Ruppel, nämlich
Ottos). Johannes Ruppel 2. starb mit 77 Jahren am
23.1.1901.
2. Rechtlicher Wandel
seit Beginn des Jahrhunderts
3. Der Prozeß um den
Wasserzins
4. Die
Müllersfamilie Ruppel
Nachdem die in der
Obermühle geborene Elisabetha Jöckel als sehr junges
Mädchen den Eichelhainer Johannes Ruppel 2. heiratete
(ca. 1851), blieb der Name Ruppel für hundert Jahre in
der Obermühle. Am 4.6.1851 wurde der erste Sohn,
Heinrich Ruppel 5., geboren. Die Mutter war 15 oder 16
Jahre alt. Dieses und das folgende Jahr waren Not- und
Hungerjahre, da Mißernten (Hagel) aufeinanderfolgten.
....... Sodann wütete 1852 eine Ruhrepidemie, der
besonders viele Kinder zum Opfer fielen. In manchen
Familien starben mehrere Kinder.
Das nächste Kind,
Katharina, kam neun Jahre später, am 14.3.1860, zur
Welt. Das dritte, August, wurde wiederum neun Jahre
später am 27.11.1869 geboren.
Heinrich heiratete als
knapp 37-jähriger am 20.5.1888 Maria Link, Marich
genannt. Sie kam aus 'Webers' Haus, das sind jetzt
Leinbergers im Unterdorf, ihre Eltern Heinrich Link und
Maria, geb. Hofmann. Ein Grund für die späte Heirat
mögen die noch sehr kleinen Geschwister im Elternhaus
gewesen sein.
Heinrichs Schwester
Katharina heiratete mit 28 Jahren am 13.10.1888 in die
Rickenmühle ein und wurde so eine Decher. Ihr Sohn war
der spätere Rickenmüller Heinrich Decher 4. und ihre
Enkeltochter die jetzt ??-jährige Marie Hanisch, geb.
Decher. Die Mühle wurde Katharina auch zum Verhängnis:
Katharina starb am 1. November 1921 durch einen
tragischen Unfall in der Mühle, bei der ihre Kleider von
der Transmission erfaßt wurde und sie mit der Kraft des
Mühlrades aufgewickelt wurde. Der Bruder August des
Obermüllers heiratete am 16.7.1893 mit 24 Jahren eine
Elisabetha Schaaf aus der Zeilmühle in Ilbeshausen und
wurde dort Müller.
Man sieht, die Müller
hatten etwas mit dem Adel gemeinsam, sie blieben gerne
unter sich.
2. Der letzte
Obermüller
Der letzte wirklich
mahlende Obermüller war also Heinrich Ruppel 5. (?). Er
war verheiratet mit Marie ('Marich'), geb. Link Sie
hatten nur eine Tochter, Bertha, geb. am 12.12.1896.
Heinrich war in der
Obermühle als eines von drei Geschwistern geboren.
Noch am 22. November
1910 ließ Heinrich von seinem Vetter (?) Heinrich Ruppel
6., dem Großvater des jetzigen Reinhard Ruppel an der
Oberdorfstraße, den oberen Flur im Treppenhaus mit
Buchenbrettern, die man sich aus dem Jahrholz selbst
schneiden konnte, dielen. Das Datum ist so genau bekannt,
da auf der Unterseite einer 1986 abgerissenen Diele in
deutscher Schrift stand: "Gedielt von Heinrich
Ruppel 6. und Reinhard, den 22. November 1910".
Das folgende Jahr 1911
war ein besonders trockenes Jahr, das kaum Regen brachte
und alles verdorren ließ. Es gab nicht nur weniger in
der eigenen Landwirtschaft, sondern es war auch weniger
zu mahlen.
Wann starb der Müller ?
D. Zwischen den
Weltkriegen
1. Das Ende der
Wassermühle
Im Jahr 1940 war dann
das Mühlrad am Hausgiebel ganz zusammengestürzt, da das
Eichenholz auch nicht für ewig hielt. Die
Rickenmüllerin Marie Hanisch erinnert sich noch daran,
daß sie als Kind zu Besuch bei Tante Bertha sich noch
auf dem Mühlrad sonnen konnte.
2. Weiberwirtschaft
in der Obermühle
Nach dem Tod ihres
Vaters lebten die beiden Frauen Marie, genannt 'Marich',
und Bertha (Mutter Marie Ruppel, geb. Link, und die
einzige Tochter Bertha Ruppel, geb. 12.12.1896, gest.
15.1.1957) alleine in der Obermühle.
Die Mühle wurde nicht
mehr betrieben (?) und deshalb auch nicht mehr gewartet.
Bertha lernte am Ende
des Weltkrieges einen Berliner Soldaten kennen und
lieben. Mutter Marich war strikt gegen eine Heirat,
vielleicht weil sie fürchtete, daß ihre Tochter nach
Berlin ginge und sie dann ganz allein in der Obermühle
bliebe, ohne sichere Einkünfte, schon gar nicht im Fall
von Krankheit oder im Alter. Man muß sich dabei vor
Augen halten, daß die Mühle einsam in den Wiesen stand,
das nächste Haus waren die "Beges" (jetzt
Familie König). Wald, Wild und vielleicht auch Gesindel
waren bedrohlich nahe. Allerdings hielt die Obermühle
stets einen Schäferhund, der von den Riedeseln zum
Füttern und zur Sicherheit des Hauses und seiner
Bewohner zur Verfügung gestellt wurde.
Bei Schnee und
Hochwasser, beides häufige Ereignisse, war man vom Dorf
ganz abgeschnitten. Der Bach und Mühlgraben flossen
östlich des Hauses in flachem Bett und übergossen in
der Schneeschmelze, aber auch bei heftigen Regengüssen
alles Land hinter und um die Obermühle. Man war schon
froh, wenn es sich nicht seinen Weg auch noch durch Haus
und Scheune suchte. In dringenden Fällen suchte man
einen Fluchtweg über den jetzigen, westlich fließenden
Bach, um über den 'Obermüllers Berg' an der alten
Wetterfichte, an dem ein kleines zur Mühle gehörendes
Feld lag, zum Dorf zu gelangen.
Das war tatsächlich
keine Lebensaussicht für eine alte und alleinstehende
Frau. Bertha besuchte dennoch ihren Geliebten in Berlin.
Die Folgen blieben nicht aus und sie gebar 1921 einen
Jungen, Otto, so daß die Obermühle wieder neues Leben
bekam. Der Vater von Emma Drenker, xxx Schwab, war der
Patenonkel (Petter) von Otto, die verwandschaftlichen
Beziehungen reichen in die 1. Hälfte des vorigen Jh.
(siehe Familie Jöckel).
Das Leben war karg in
der Obermühle. Wichtige Lebensmittel konnte man sich
erwirtschaften: Milch und damit 'Matte' (Quark) und
Käse, der auf den Latten (der 'Spädass') über dem Ofen
in der Stube zum Reifen gebracht wurde, etwas Getreide
und damit Mehl und Brot, das wie seit uralten Zeiten im
Dorfbackhaus gebacken wurde, Gemüse aus dem Garten,
etwas Fleisch und Wurst vom jährlich geschlachteten
Hausschwein, das gepökelt, gekocht oder geräuchert für
ein ganzes Jahr langen sollte, zudem Marmelade aus den
vielen Waldhimbeeren ('Reinsbeer') und so manches andere.
Brot und Marmelade (mit und eher auch ohne Butter)
gehörte zum täglichen Speisezettel: Morgens zum
'Kaffeetrinken', nachmittags zum 'Kaffeetrinken',
dazwischen gab es als Mittagessen, so um 11 Uhr, eine
Suppe und abends oft Bratkartoffeln mit und ohne etwas
dazu. Fleisch gab es nur bei Festen und manchmal
sonntags.
Zum Schlachttag kamen
auch Leute aus dem Unterdorf. Es kamen Petter und Gothe,
Vetter und Base und auch deren Nachkommen. Dann wurde
gefeiert und sich insbesondere einmal satt gegessen. Zum
Ende des Schlachtfestes wurde die "Worschtsopp"
in der Nachbarschaft ausgetragen und für die Kinder ein
kleines Blutwürstchen abgegeben, wenn sie es sich nicht
schon vorher selbst abgeholt hatten. Emma Drenker
erinnert sich noch gerne an die Besuche bei Bertha.
Nicht zu vergessen das
Sauerkraut. Davon hatte man wenn möglich mehrere Fässer
im Herbst eingemacht. Wurde das Fass dann einmal
aufgemacht, gab es drei Tage lang Sauerkraut, am ersten
...
Aber schon zum
Marmelademachen brauchte man Zucker und für Zucker
Bargeld. Das war in diesem Haus so wichtig, denn nur noch
die kleine Milchlieferung und der gelegentliche Verkauf
eines Stückes Vieh brachte Bargeld ein. So mangelte es
ständig an allem: Kein Geld für Zucker und Gewürze,
... der Samen für Gemüse und Dickwurz wurde zur
Kostbarkeit und gehörte bei einem Brand zu den wichtigen
zu rettenden Gütern.
In der Küche stand ein
schwarzer gußeiserner eingemauerter Herd, in der Ecke
ein gemauerter Kessel. Der Schornstein war schon bis auf
den Boden heruntergezogen (früher endete er an der
Decke, noch früher gab es nur einen Rauchfang mit einer
schornsteinähnlichen Ableitung aus Holz und Lehm).
Marich starb 1933/34
Bertha fühlte sich vom
Leben betrogen, wurde durch das einsame Leben
mißtrauisch und galt als eine, mit der nicht "gut
Kirschen zu essen war". Wahrscheinlich hatte auch
der eine oder andere versucht, sie bei einem Geschäft
übers Ohr zu hauen. Später hielt sie sich sogar zwei
furchteinflößende Hunde, Senta und Mohr, die vor ihrem
Bett schliefen.
Bertha hatte als
landwirtschaftlichen Besitz den Garten vor und hinter der
Obermühle, Wiesen im Traiges (jetzt im Besitz der Erben
Hanisch aus der Rickenmühle) und Land bei der Fichte
(das ist Obermüllers Berg (jetzt Winterholler).
Mit dem größer
werdenden Jungen wuchs Bertha eine tüchtige Hilfe heran.
Die Kinder im Vogelsberg wurden schon mit acht,
spätestens mit zehn Jahren mit dem Vieh auf die Weide
geschickt, konnten viel beim Füttern und Ausmisten und
den vielen anderen Feld- und Hausarbeiten helfen. Nach
Beendigung der Volksschule (1935?) ging Otto zur Arbeit
(wo?) und brachte einen wenn auch kleinen Lohn mit nach
Hause.
Diese Zeit der Hoffnung
währte jedoch nicht lange. Zu Beginn des 2. Weltkrieges
war Otto stolze 18 Jahre alt und Bertha hatte bis dahin
eine große Hilfe. Dann kam die Mobilmachung und Otto
mußte in den Krieg. Mit 22 Jahren fiel er am 14.8.1943
in Rußland. Eine Zeile auf der Gedenktafel auf dem
Friedhof wird bald die letzte Erinnerung an ihn sein.
Bertha schlief in der
Nebenstube, wo sie ihr Bett unter das kleine hintere
Fensterchen gestellt hatte. Mit ihr bewohnten die Hunde
Senta und Mohr das Zimmer.
Exponiert und einsam war
das Haus allemal, wenn man bedenkt, daß es vom Haus
"Beckes" der Familie Jost (jetzt Familie
König) in der Oberdorfstraße xx bis zur Obermühle kein
Haus stand. Das hat sicher zu einem gewissen Ruf des
Hauses (und vielleicht auch seiner Bewohner) beigetragen.
Beckes hatten eine Landwirtschaft, ein Gasthaus und
später bauten sie an der Stelle ihres Gartens den Saal,
der für die ganze Gegend attraktiv war. Die Familie war
vergleichsweise wohlhabend. Sie hatte zeitweise zwei
Dreschmaschinen mit einem Lokomobil für die herbstliche
Lohndrescherei.
3. Eichelhainer
Hütejungen
Jeder Bericht über
einen Vogelsberger Bauernhof wäre mangelhaft, wenn man
nicht über die Hütejungen berichtete. Ein Hütejunge,
der in der Obermühle von ca. 1938 bis 1943, als er noch
mit 15 Jahren (!) in den Krieg ziehen mußte, war Karl
Krömmelbein (* 1928) aus der Weidenau. Als er in der
Obermühle anfing, war er 10 Jahre alt. Später wurde er
Knecht in der Obermühle.
Lohn eines Hütejungen
pro Jahr: 1 Anzug, 1 Paar Schuhe und ein Hemd, dann das
Essen von Mittag (nach der Schule) bis Abend, was aber
oft noch genug Hunger übrig ließ. (Sprichwort:
"Lieber vor Bauch nicht liegen, als vor Hunger nicht
schlafen). In der Ferienzeit ganztägiger Dienst,
sonntags sowieso eingeschlossen.
Arbeiten: Sommer: Kühe
hüten, ausmisten, helfen bei der Feldarbeit rund um
Dickwurz und Kartoffeln, Heu machen. Auf den zum Hof
gehörenden Wiesen wurde Heu gemacht, wenn möglich auch
Grummet. In schlechten Jahren gab es so spätes Heu im
Juli, daß ein zweiter Schnitt unmöglich war.
Gehütet wurde auf der
Allmende, also Gemeinbesitz der Bauern, dazu auch auf
Feldwegen, im Wald und wo sonst etwas wuchs. Von der
Obermühle war es nicht weit zur Allmende: Sie fing
einmal dort an, wo jetzt Schötts Häuser stehen, also an
der alten Brücke aus Bilsteinen und zog sich am jetzigen
Bach entlang bis zum Traiges (jetzt Abladeplatz für
Bauschutt) vor dem Wald, zum anderen gab es die untere
und obere Pfingstweide (ungefähr entlang des alten
Totenweges von Lanzenhain her). Wo jetzt von Schötts aus
der Teerweg hinauf zu den Heufeldern und zum Wald führt,
war früher ein sehr breiter Viehtrieb mit Felsen und
Gestein übersät und netzartigen Trampelpfaden der Kühe
dazwischen. Dorthinauf zogen die Hirten mit dem Vieh und
blieben den ganzen Tagen dabei.
Überall lagen große
Felsen und Basaltklötze auf den Weiden herum, Büsche
und Bäume wuchsen zwischen den zusammengelesenen Steinen
auf Wällen und ergaben so eine abwechslungsreiche
Landschaft.
Auf der Allmende hütete
jedermann. Wenn die Kühe sich vertrugen, konnten sie
durcheinanderlaufen, sonst mußten sie getrennt
beaufsichtigt werden. Manches aus diesem Hüteleben mutet
heute romantisch an, erlebt wurde es jedoch ganz anders.
Schön war es wenigstens, wenn die Wildkirschen reif
waren, konnte man sich doch dann einmal richtig satt
essen. Sie waren so klein, daß sie mit Stein gegessen
wurden. Kleine Steinhäufchen an den Rainen und zwischen
den Hecken zeugten noch einige Zeit danach von satten
Tagen.
Zwei Sprüche zeugen
eindrucksvoll vom Leben der Hütejungen:
"Wann's Schutte
(Felderbsen und Linsen) gett unn Beer, konn mech der
Honger om Aorsch geleacke!"
"Abbes es emmer: Em
Sommer donnerts unn em Weinter moß ech en dee
School,"
Zur Obermühle gehörten
drei, auch einmal vier Kühe und ein oder zwei Rinder.
Kälber wurden im Stall versorgt und meist bald verkauft,
damit etwas Geld einkam.
Winter: Häcksel machen,
d.h. Häcksel schneiden, Dickwurz putzen und mahlen,
mischen, füttern, Kühe tränken mit Wasser aus dem
Mühlbach hinter dem Haus.
E. Nachkriegszeit
1. 'Bohlers' tauschen
ein Haus
Johannes Geist, der mit
seiner Familie in 'Bohlers' Haus (an der Ecke der
Engelröder Straße, zwischen Spöhrer und Bläser, 1975
abgebrannt und nicht wieder aufgebaut) wohnte, hatte die
traurige Pflicht, Bertha Ruppel die Nachricht vom Tod
ihres Sohnes Otto zu überbringen. Bald kam ihm dabei
auch der Gedanke, mit Bertha das Haus zu tauschen, da ihm
das seinige viel zu klein war.
Johannes Geist stammte
aus Helpershain, wo seine Familie 'Bohlers' genannt
wurde. Er war dort am 17. September 1892 geboren als
einer von acht Brüdern. Einer von ihnen war kränklich
und blieb zu Hause, die anderen mußten sich eine
Existenz aufbauen (Erfahrungssatz von Waehnersch Lies aus
Maar: "Viele Brüder, schmale Güter"). Im
Jahre 1916 heiratete er Anna Ruppel (* 21. August 1893)
aus 'Keils', der Dorfschmiede (jetzt Schultz) und wohnte
zunächst noch in Helpershain. Dort wurde auch Karl
geboren (* 2. Juni 1916) und von der Eller (seiner
Großmutter) mit betreut. Die Verhältnisse waren sehr
einfach, die Heirat durch die Tatsachen erzwungen und der
Vater sehr ungehalten darüber (Karl erzählte von vielen
erschütternden Szenen, denen er als "Ursache"
der Misere ausgesetzt war: "Gab mer a Measser, daß
ech enn absteach"). Dann zogen sie nach Eichelhain
und hatten vier weitere Kinder: Marie (ging nach
Frankfurt), Heinrich (nach Romrod), Otto (nach Fauerbach)
und Johanna, 16 Jahre jünger als Karl (* 27. Oktober
1932).
Am 15. November 1941
heiratete Karl seine Frau Toni (* 7. April 1923), geb.
Leinberger, aus Rebgeshain. Im Jahr 1945 wohnten noch der
Sohn Karl und dessen Frau Toni sowie ihr 1942 geborener
Sohn Herbert (* 22. April 1942) und Karls Schwester
Johanna im Haus. Johanna ging 1949 als Magd nach
Wallenrod, dann zu Bonacker in Heblos. Dort heiratete
sie, wurde eine Becker und lebt heut noch dort in eigenem
Haus.
Nachdem also 'Bohlers'
Haus zu klein und die Obermühle für Bertha Ruppel zu
groß war, wurde der Tausch bald besiegelt. Auch Karl
gefiel das Anwesen, lag es doch am oberen Dorfende in
friedvoller Landschaft inmitten von Wiesen am Bach, wo
eine wachsende Familie Platz hatte und eine kleine
Landwirtschaft geführt werden konnte. Karl war wie so
viele im Krieg in Rußland im Nordabschnitt der Front und
hatte im Heimaturlaub 1944 (nach einer Verwundung) seine
Zustimmung gegeben. Schließlich war bei dem Tausch eine
Zuzahlung zu leisten, für die er wesentlich aufzukommen
hatte. Im April 1945, also kurz nach dem Einmarsch der
Amerikaner im Vogelsberg, zog man um.
Beim Umzug war Karl
nicht dabei: Zu dieser Zeit war er in amerikanischer
Kriegsgefangenschaft im Lager Remagen und kam erst am 15.
Juni 1948, also mitten in der Heuernte, aus der
Kriegsgefangenschaft heim. Am Kriegsende war er
unglücklicherweise noch in die Hände der Franzosen
geraten, obwohl er es auf abenteuerlichem Weg fast bis
nach Hause geschafft und damit nur noch amerikanische
Gefangenschaft riskiert hatte. Die Franzosen
verfrachteten ihn zur Arbeit in die Nähe von Aubagne und
zuletzt für zwei Jahre nach La Valentine (bei Marseille)
in eine Mühle. Der Patron Donato hielt nichts von guter
Verpflegung seiner Arbeitskräfte und so wurden es zwei
hungrige Jahre. Doch hatte er eine Kraft, die sich in der
Wartung und im Einsatz der Maschinen bestens auskannte.
Ein wenig Linderung verschafften ihm die Köchin sowie
Huguette, die jetzige Mme Pallafer, zu der jetzt noch
eine Verbindung besteht.
Wer zog um ? Auch
Johanna und zwei bereits geborene Kinder. Wer ?
Am Tag der Heimkehr war
gerade die Wiese um die Obermühle herum gemäht worden,
so daß Karl gleich zum Heurechen zu greifen hatte, um in
mühevolle Jahre der in der Obermühle zu beginnenden
Landwirtschaft einzutreten. Eine Wiese in den Heufeldern
war gekauft worden, deren Hypothek war abzutragen und
weitere Käufe in den Heufeldern standen bevor. Drei
Milchkühe mit dem zugehörigen Nachwuchs war der
wesentliche Tierbestand, erst in den siebziger Jahren
nach Aufgabe der Viehwirtschaft gab es auch Ziegen, um
die Schweine mit Milch zu füttern.
2. Das Leben mit
einer zu kleinen Landwirtschaft
In der Obermühle wurden
dann seine weiteren Kinder Karl-Heinz (* 15. September
1949) und Gudrun (* 28. Juni 1954) geboren. Im Jahre 1949
verließ Johanna das Haus und ging als Magd nach
Wallenrod.
Gaschlers bauten 1949
zuerst ihr Wohnhaus und danach Stall und Scheune, zuvor
wohnten sie übergangsweise in der Schule. Karl half mit
zu bauen. Da es zu dieser Zeit kein Material zu kaufen
gab, machten sie die Lehmsteine selbst mit der Hand.
Fundamente wurden aus rauhem Basalt gemauert, die man im
Feld oder aus der Bach holte. In dieser Zeit standen die
mitgebrachten Pferde noch in einem Holzschuppen hinter
Schmidts Hermann (früheres Haus von Schwab), Vorräte
und Geräte standen verteilt im Dorf.
Schötts bauen,
Veränderungen der
Obermühle: Instandsetzungen, Mühlgraben,
Flurbereinigung
Der Mühlgraben wurde
mit 370 Muldenkipper vom Aushub der Gebäude Pfitzner in
Engelrod aufgefüllt (60er Jahre). Rudolf Schött hatte
die Vision,, daß das Gelände von der Halle der
Jagdgenossenschaft bis zur Obermühle eben werden sollte.
Karl konnte sich das zunächst nicht vorstellen, hat aber
dann Graben und Schluchten auffüllen lassen. In diesem
tief gelegen Bereich gab es neben Erlen und Weiden auch
noch ein Stückchen Wiese.
Die Landwirtschaft war
stets nur ein Nebenerwerb, aber schon 1952 änderte sich
die Lage erheblich, als Karl die Obermühle übernahm und
seinen Eltern den Auszug gab. Dieser sah vor: 150 Pfd.
gut ausgemästetes Schweinefleisch per anno, 130 Eier,
Kartoffel und Kraut aus dem Kellervorrat nach Bedarf, 12
Pfund Brot pro Woche, .... Im Fall, daß die Alten keine
Rente mehr bekamen, war eine bare Zuzahlung von ??
vorgesehen. Dieser Vertrag mußte penibel eingehalten
werden, sonst wurde mit dem Rechtsanwalt gedroht.
Die Landwirtschaft als
Basis des Auszugs konnte gar nicht diese Dinge hergeben,
sollte sie doch die eigene Familie auch noch etwas
miternähren. So war Karl gezwungen, auch für den Auszug
arbeiten zu gehen. Die folgenden Jahre waren für Karl
und Toni sehr schwer, sie fühlten sich unfair behandelt
und mußten hart arbeiten, ohne daß sie merklich über
das Existenzminimum hinauskamen.
Arbeit bei der
Dreschmaschine. Karl hat mit der Dreschmaschinenarbeit
1932 bei Julius Schneider aus Ober-Mörlen in der
Wetterau begonnen. Nach dem Krieg war er 17 Jahre lang
"Maschiner" bei der Hebloser Dreschgesellschaft
(1951 - 1967). Diese arbeitete im Lohndrusch, zunächst
nur in Rimlos, Heblos und Sickendorf, später durch
aktive Akquisition auch in Gunzenau, Veitshain,
Hartmannshain und Herchenhain. Die Dreschmaschine war
Karls ganzer Stolz, da er sie technisch fit machte und
hielt und für neue Kunden sorgte, was auch seinem Beruf
Sicherheit gab.
Da die Maschine nur in
der Dreschsaison lief, war für die andere Zeit eine
andere Arbeit notwendig. Karl arbeitet in der
Bauwirtschaft, meist bei Ruhl, aber auch in 1967 bei
einer Gießener Firma nach einem Unfall. Da stand er kurz
vor Weihnachten ohne Geld da und mußte zusehen, wo
welches herkommen konnte.
Die Landwirtschaft wurde
Anfang der siebziger fast stillgelegt. Zuerst wurden noch
Ziegen und Schweine für den eigenen Bedarf, dann nur
noch das Schlachtschwein gehalten. Das letzte wurde 1975
gefüttert und im folgenden Winter geschlachtet. Kurz
zuvor erfolgte der Umzug ins neue Haus.
1976 ging Karl in Rente
als 60-jähriger, da neue Arbeit nach einem Jahr
Arbeitslosigkeit nicht mehr in Aussicht war.
Gudrun heiratete Jürgen
Naß aus Engelrod. Danach wurde wieder ein
Übergabevertrag geschlossen: Gudrun und Jürgen hatten
von diesem Moment an Eltern und Großeltern zu versorgen,
doch ging es von dieser Zeit an wirtschaftlich besser und
besser. Ihren Eltern halfen sie damit aus der nicht enden
wollenden mißlichen Lage mit zuwenig Verdienst und einem
knebelnden Altenauszug.
, Umbau oder Neubau?,
Neubau und Hausverkauf
Johannes Geist starb am
6. Oktober 1975 im Alter von 83 Jahren in der Obermühle,
nachdem er schon längere Zeit bettlägerig war. Er hatte
Einsitzrecht behalten und starb in seiner gewohnten
Umgebung. Seine Frau Anna zog danach ins Haus ihrer
Enkelin Gudrun und von Jürgen Nass um, in dem auch Karl
und Toni Geist wohnten. Sie lebte dort in Rüstigkeit
noch fünf Jahre, kam gerne mal zu einem Schwätzchen
über die alten entbehrungsreichen Zeiten in die
Obermühle. Sie wollte nach dem Tod von Hannes vom
Einsitzrecht keinen Gebrauch mehr machen, drohte aber
zuweilen ihrer eigenen Familie, wenn ihr etwas nicht
paßte, wieder in die Obermühle zu ziehen. Erst der
Hinweis, daß man ihr kein Essen hinüberbringen würde,
brachte sie zur Einsicht. Im übrigen wäre das Wohnen in
der noch nicht vollständig renovierten und nicht dauernd
bewohnten Obermühle schwierig gewesen, das Wasser wäre
im Winter eingefroren, ein einzelnes Zimmer wäre kaum
gemütlich warm geworden und vieles mehr.
Einzig mit der alten
Frau Winterholler hielt sie Kontakt (eine Cousine, die
Mutter heiratete nach Keils). Sie starb in ihrem 87.
Lebensjahr am 23. Juni 1981. Am 24. Juni rief das
Jugendamt an und kündigte den Thomas an. So löst eine
neue Generation eine frühere ab.
Karl war ein guter
Nachbar für uns. Er heizte das Haus vor, wenn wir in der
kalten Jahreszeit zum Wochenende oder in Ferien kamen, er
achtete darauf, daß die Wasseruhr nicht einfror,
bewachte das Haus vor Gesindel und allzu Neugierigen.
Wenn es was zu basteln oder zu tüfteln gab, war er zu
Stelle mit Rat und Werkzeug. Dabei hatte er viele gute
Ideen, wie z.B. den Verschluß des Pferdestalls. Er
schärfte mir Messer, Äxte usw., eine richtige
Spezialität waren die Sensen. Beim Holzspalten mit Axt
und Keilen gab er Ratschläge: "Das Holz reißt, wie
der Vogel scheißt" (also von oben nach unten.
Viel erzählte er von
seiner Last mit der Landwirtschaft und vom Krieg in
Rußland und der Zwangsarbeit in La Valentine. Bald
kannten wir bestimmte Geschehnisse auswendig.
Karl Geist lebte 15
Jahre im neuen Haus und starb nach längerem Leiden am
20. Juli 1990. Er wußte, daß er nicht mehr gesund
werden würde und beschloß im Frühsommer 1990, keine
Medikamente mehr zu nehmen. Da er aber auch fast nichts
mehr aß und nur noch etwas Milch trank, in den letzten
30 Tagen aber nur noch Wasser, war er vollständig
abgemagert. Seine unverwechselbaren Humor hatte er bis
zum Schluß bewahrt. Als Annelie ihm Misteltropfen
brachte, meinte er, daß er es dann wohl auch noch
schaffte, mit ihr zur Kirmes zu gehen. Sein Todestag war
ein schöner Hochsommertag, wir hatten das Heu eine Woche
vorher trocken eingebracht und hatten tags zuvor
Heidelbeeren gesammelt mit unseren und Gudruns Kindern.
Am 23. wurde er beerdigt unter strahlender Sonne. In den
stillen Momenten hörte man von den Felder die Wachtel
schlagen, das war Beerdigungsmusik nach Karls Art. Er
liebte die Vögel und kannte sie, hatte wohl früher auch
welche gefangen und gezähmt. Es waren sehr viele
gekommen: aus dem Dorf., die vielen Cousins und Cousinen
aus Helpershain, die alten Dreschgenossen aus Heblos,
natürlich die Verwandtschaft. Ich selbst war
Sargträger, Annelie schenkte Kaffee im
Dorfgemeinschaftshaus aus. Henning und Annika erlebten
zum ersten Mal den Tod.
Am gleichen Tag gab es
die Jahrholzlose. Tags darauf holten wir das Holz vom
'Haferacker', westlich vom Geiselstein.
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